Band 2 des Shōbōgenzō enthält die Kapitel 22 bis 41.
Im Folgenden finden Sie kurze, zusammenfassende Einführungen in die einzelnen Kapitel.




22 • Busshō 仏性 • Die Bud­dha-Natur

Butsu bedeutet Bud­dha und shō «Wesen», «Essenz» oder «Natur». Die chinesi­schen Schriftzeichen, die in Japanisch busshō gelesen werden, sind die Wiedergabe von sanskr. «Tathāgatagarbha» oder «Bud­dha-Natur». Dies wird in manchen Sūtren des Mahāyāna als Möglichkeit und Potenzial des Menschen gedeutet, die Wahrheit zu erlangen, indem die von Natur aus vorhandene Bud­dha-Natur natürlich heranreift. Meis­ter Dōgen war mit dieser Interpretation nicht zufrieden und entwickelte daher in diesem Kapitel die verschiedenen Dimensionen der Bud­dha-Natur in sehr umfassender Weise.

Für Meis­ter Dōgen verwirklicht sich die Bud­dha-Natur ganzheitlich mit dem Körper und Geist im gegenwärtigen Augenblick, und dies kann mit den abstrakten Begriffen wie «Potenzial» oder «natürliche Eigenschaft» nur unzureichend beschrieben werden. Da es bei Dōgen um die konkrete Verwirklichung der Bud­dha-Natur im Augenblick geht, sind abstrakte Überlegungen zur Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft oder gar Herkunft der Bud­dha-Natur auch nicht weiterführend. Meis­ter Dōgen untersucht in diesem Kapitel tiefschürfend die beiden bekannten Antworten «Alle Lebewesen haben die Bud­dha-Natur» und «Alle Lebewesen sind ohne die Bud­dha-Natur». Nach seiner Sicht müssen wir aber über diese Antworten, die beide jeweils Relevanz haben, hinausgehen, da sie die Wirklichkeit als konkrete und augenblickliche Wahrheit nicht voll und ganz ­erfassen. Dōgen untersucht und kommentiert also die jeweiligen Antworten, geht dann aber weiter. Er führt aus, dass aus seiner Sicht und Erfahrung das Tun und Handeln im gegenwärtigen Augenblick die Wirklichkeit und Wahrheit sind und dies gleichzeitig die Bud­dha-Natur ist.




23 • Gyōbutsu yuigi 行仏威儀 • Das reine würdevolle Handeln der Bud­dhas

Gyō bedeutet «praktizieren» oder «handeln», butsu bedeutet «Bud­dha», yui-gi «Würde» oder «würdevoll», wobei auch die Bedeutung von «Reinheit» mitschwingt. Daher kann Gyōbutsu yuigi mit «das reine würdevolle Handeln der Bud­dhas» übersetzt werden. Im Bud­dha-Dharma wird großes Gewicht auf das gelegt, was wir «Leben» oder «Wirklichkeit» nennen. Diese Wirklichkeit ist aber nichts Fixes oder Festgelegtes, sie lebt vielmehr in jeder Handlung unseres täglichen Lebens, d. h. Handeln oder Geschehenlassen im gegenwärtigen Augenblick ist die Wirklichkeit selbst. Es war Gautama Bud­dhas historische Aufgabe, die Wahrheit oder Wirklichkeit des Handelns wiederzufinden und zu lehren, indem er die damals wie heute vorhandenen begrenzten Ansätze und Deutungen des menschlichen Lebens von Idealismus und Materialismus überwand und zu einer groß­artigen Synthese mit dem Handeln zusammenführte. Deshalb steht auch für Meis­ter Dō­gen die Reinheit und Würde des Handelns im Mittelpunkt seiner Lehren im Shōbōgenzō. In diesem Kapitel beschreibt er das reine würdevolle Handeln der Bud­dhas, das die selbstlose Hingabe an das ganze Universum ist. Dieses unmittelbare und nicht-dualistische Handeln ist mit dem gewöhnlichen Menschenverstand nicht zu ver­ste­hen, weil es sich in jedem Augenblick im Einklang mit der unbeschreibbaren kosmischen Ener­gie vollzieht. Es ist ein reines, einfaches und direktes Handeln, das über alle Begrif­fe, Vorstellungen, Dogmen und so manche Theorie, die auch im Buddhismus entwickelt wurde, hinausgeht, und es ist ein würdevolles Handeln. Dieses Kapitel darf zu den ganz großen des Shōbōgenzō gezählt werden.




24 • Bukkyō 仏教 • Bud­dhas Lehren

Butsu bedeutet «Bud­dha» und kyō bedeutet «die Lehre» oder «die Lehren». Bukkyō wird im Allgemeinen mit «Buddhismus» übersetzt, aber in diesem Kapitel legt Meis­ter Dōgen das ganze Gewicht auf die Bedeutung der theoretischen oder philosophischen Seite von Bud­dhas Lehren. Deshalb übersetzen wir bukkyō hier mit «Bud­dhas Lehren». Manche bud­dhis­tische Schulen, die den Wert der Praxis besonders hervorheben, bestehen auf einer Weitergabe, die jenseits und getrennt von den Lehren des Bud­dha-Dharmas ist. Sie sa­gen, dass es nicht notwendig sei, sich auf verbale Erklärungen des Dharmas zu stützen. Aber Meis­ter Dōgen betrachtete diese Auffassung als einen Irrtum. Zweifellos ist die Praxis des Zazen ein sehr wichtiger Teil des Bud­dha-Dharmas, aber für Meis­ter Dōgen war beides, die Praxis und die Theorie, sehr wichtig. Die bud­dhis­tischen Schriften sind wie Landkarten, die uns Informationen über die Wirklichkeit, über unser Leben und die Welt liefern, selbst wenn sie nicht die Wirklichkeit selbst sind. Wenn wir sie missachten, können wir diese wertvollen Lehren auch nicht an andere weitergeben. Deshalb erklärt Meis­ter Dōgen in diesem Kapitel die Wichtigkeit von Bud­dhas Lehren.




25 • Jinzū 神通 • Übernatürliche Kräfte

Jin bedeutet «übernatürlich» oder «magisch», und , das eine andere Leseart von tsū ist, bedeutet «Kräfte» oder «Fähigkeiten». Jinzū bedeutet daher «übernatürliche Kräfte». Obwohl der Bud­dha ausdrücklich vor der Ausübung übernatürlicher Kräfte gewarnt hat, wird dieser Aspekt in manchen scholastischen Texten überbewertet, und so nimmt die phantasmagorische Beschreibung solcher Kräfte einen großen Raum ein. Meis­ter Dōgen bestätigte solche Übertreibungen nicht. Vielmehr betonte er die Exis­tenz übernatürlicher Kräfte, die wir bekommen können, wenn wir Bud­dha werden. Und in diesem Fall ist der Sinn von «übernatürlich» nicht magisch oder geheimnisvoll, sondern diese Kräfte sind reale intuitive Fähigkeiten, die ein Mensch mit entsprechender Begabung natür­licherweise entwickeln und im täglichen Leben konkret anwenden kann. Als ein alter ­chinesischer Buddhist nach den übernatürlichen Kräften gefragt wurde, antwortete er: «Wasser holen und Brennholz tragen.«

26 • Daigo 大悟 • Das große Erwachen

Dai bedeutet «groß», und hier ist es im Sinn von «ganz» oder «allumfassend» zu ver­ste­hen. Go oder Satori bedeutet «das Erwachen zur Wahrheit oder Wirklichkeit». Als Verb bedeutet satoru «wissen» oder «ver­ste­hen». Einige bud­dhis­tische Gelehrte, wie z. B. Dr. Daisetsu Suzuki, haben go als «Erleuchtung» übersetzt. Diese Bedeutung des Wortes go führt aber leicht zu Missverständnissen und hat seit vielen Jahren das tiefere Verständnis des Bud­dha-Dharmas eher blockiert als gefördert. Wir verwenden daher vorzugsweise den Begriff «Erwachen». Was dieses Erwachen für Meis­ter Dōgen bedeutet, ist allerdings nicht einfach zu ver­ste­hen. Es ist vor allem klar, dass das Erwachen mit dem Verstand nicht zu erfassen ist, denn es geht hier um eine direkte Erfahrung der Wirklichkeit und nicht um eine abstrakte Diskussion. Für Meis­ter Dōgen bezieht sich das Erwachen immer auf das Leben im gegenwärtigen Augenblick, und so untersucht er in diesem Kapitel tiefgründig die vielen Facetten des Erwachens, wie z. B. auch das Zurückfallen eines Erwachten in die Täuschung.




27 • Zazenshin 坐禅箴 • Die Bambusnadel des Zazen

Das Schriftzeichen shin hatte ursprünglich die Bedeutung einer «Bambusnadel», die im alten China zu Heilzwecken in der Akupunktur verwendet wurde. Später wurde shin im übertragenen Sinn benutzt, und zwar für eine kurz und präzis for­mulierte Aussage, die punktgenau den Kern einer Sache trifft und dadurch heilt und ­Probleme löst. Zazenshin bedeutet also «die (heilende) Bambusnadel des Zazen».

In diesem Kapitel legt Meis­ter Dōgen seine eigene tiefe Erfahrung des Zazen in sehr klarer und poetischer Form dar. Um diese Erfahrung des Zazen zu veranschaulichen, stützt er sich auf die Aussagen dreier berühmter alter Meis­ter, nämlich Yakusan, Nangaku und Wanshi, die er in seinen Kommentaren tiefgründig durchleuchtet. Auch wenn die Zazen-Erfahrung selbst jenseits aller Worte ist, können wir uns durch dieses Kapitel Zazenshin ein relativ klares Bild davon machen, was Meis­ter Dōgens Zazen bedeutet. Da die Praxis des Zazen allzu oft missverstanden wird, ist dieses Kapitel für uns heutige Zazen-Praktizierende ein wahres Geschenk.




28 • Butsu kōjō no ji 仏向上事 • Der Bereich jenseits von Bud­dha

Butsu bedeutet «Bud­dha» und kōjō «über etwas hinausgehen» oder «jenseits von etwas (sein)». Das Wort ji (oder koto) bedeutet «Bereich» oder «Zustand». Butsu kōjō no ji, «der Bereich jenseits von Bud­dha», beschreibt einen Menschen, der auch nach dem Erwachen mit seiner Praxis fortfährt. Das Erwachen zur Wahrheit ist die Erfahrung des Praktizierenden, dass er oder sie immer schon Bud­dha war. Deshalb müssen Bud­dhas ihre Gedanken, ihren Körper, ihr Leben und ihre Praxis auch nach dem Erwachen nicht grundlegend verändern. Sie fahren einfach mit ihrem Leben fort und praktizieren Za­zen jeden Tag. Solche Bud­dhas leben einfach in der Wirklichkeit, die jenseits aller Ideen und Vorstellungen von «Bud­dha» ist. Nur solchen Bud­dhas können wir in dieser Welt begegnen. Meis­ter Dōgen verehrte diese Bud­dhas sehr. In diesem Kapitel erklärt er, was der Ausdruck «Bereich jenseits von Bud­dha» für ihn bedeutet, indem er Worte der alten Meis­ter wiedergibt und kommentiert.




29 • Inmo 恁麼 • ES

Inmo ist eine alltägliche Redewendung aus der Song-Dynastie Chinas, die «Es», «Das» oder in der Frageform «Was?» bedeutet. Wenn sie inmo sagen, meinen die Chinesen etwas Selbstverständliches, das nicht weiter erklärt werden muss. Deshalb übernahmen die chinesischen Zen-Meis­ter das Wort inmo, um ihrerseits auf die Wahrheit oder Wirklichkeit hinzuweisen, die nach der bud­dhis­tischen Lehre nicht er­fass­bar ist und nicht erklärt werden muss. In diesem Kapitel erläutert Meis­ter Dōgen den Begriff inmo anhand der Aussagen der Meis­ter Ungo Dōyō, Saṃghanandi, Daikan Enō, Sekitō Kisen und anderen.

30 • Gyōji 行持 • Das Bewahren der reinen Praxis

Gyō bedeutet «Praxis», «Tun» oder «Handeln», und in der weiteren ethischen Bedeutung des Wortes «die reine Praxis». Ji bedeutet das «Erhalten» oder «Bewahren», sodass wir gyōji mit «das Bewahren der reinen Praxis» übersetzen. Gautama Bud­dha hat vor zwei­tausendfünfhundert Jahren auf die Wichtigkeit unserer Handlungen hingewiesen. Deshalb wird er auch oft als «Lehrer des Handelns» bezeichnet. Im Bud­dha-Dharma geht es also um die Aufrechterhaltung einer reinen Lebenspraxis, das heißt: Das Wesentliche ist das, was wir in unserem Leben tun oder unterlassen. Unser Leben bedeutet einfach Din­ge zu tun oder nicht zu tun, und es ist nicht notwendig, unserem Tun und Handeln noch dualistische Gedanken hinzuzufügen. Deshalb schätzt Meis­ter Dōgen die Zazen-Praxis als Grundlage des Lebens und das reine Handeln im täglichen Leben so hoch ein. In diesem sehr konkreten Kapitel zitiert er viele eindrucksvolle Beispiele der reinen Praxis der Bud­dhas und Vorfahren. Durch diese Beispiele der alten Meis­ter mit ihrer Klarheit, Konsequenz und Willenskraft spricht uns Meis­ter Dōgen sehr direkt an.




31 • Kai-in zanmai 海印三昧 • Der Samādhi als das Siegel des Ozeans

Kai-in zanmai ist die japanische Wiedergabe des Sanskrit-Ausdrucks sāgara-mudrā-samādhi. Kai, in Sanskrit sāgara, bedeutet «der Ozean». In diesem Kapitel ist der Ozean eine Metapher für die nicht er­fass­bare Wirklichkeit. In, in Sanskrit mudrā, bedeutet «Siegel» oder «Prägung» und im weiteren Sinn «Beschaffenheit» oder «Form». Zanmai, in Sanskrit samādhi, beschreibt den Zustand beim Zazen. Kai-in zanmai bedeutet daher den Samadhi als das Siegel des Ozeans der Wirklichkeit. Das Bild des Ozeans erscheint auch im Girlanden-Sūtra. Meis­ter Dōgen legt in diesem Kapitel seine Sicht zum Sa­mā­dhi des Ozeans der Wirklichkeit dar und bezieht sich dabei auf das Vimalakīrti-Sūtra, das Lotos-Sūtra und ein Gespräch zwischen Meis­ter Sōzan Honjaku und seinem Schüler. Er erklärt das Siegel des Ozeans als die tiefe Erfahrung des Samādhis beim Zazen, in dem die Einheit von Subjekt und Objekt im Hier und Jetzt geschieht, und macht deutlich, dass der Ozean erst durch das Siegel des Samādhis zum Ozean der Wirklichkeit wird.




32 • Juki 授記 • Die Bestätigung

Ju bedeutet «geben» und ki «bestätigen». Juki bedeutet also «Bestätigung geben». In den bud­dhis­tischen Sūtren wird oft geschildert, wie Gautama Bud­dha einem seiner Jünger bestätigt, dass er die Wahrheit verwirklichen und Bud­dha werden wird. Wenige Gelehrte haben sich bisher mit dem Sinn dieser Bestätigungen befasst. Meis­ter Dōgen jedoch sah die große Bedeutung dieser Bestätigungen. Aus seiner Sicht geschieht die Bestätigung von und mit der Wirklichkeit des gegenwärtigen Augenblicks, und damit wird das ganze Universum Augenblick für Augenblick bestätigt.




33 • Kannon 観音 • Der Bodhisattva des großen Mitgefühls

Kannon, wörtl. «der auf die Rufe achtet», ist die japanische Aussprache des chinesischen Namens des Bodhisattvas, der in Sanskrit Avalokiteśvara genannt wird. Avalokiteśvara wird im Lotos-Sūtra als einer beschrieben, der immer in diese Welt kommt, um alle um Hilfe rufenden Menschen zu retten. Kannon war ursprünglich ein männlicher Bo­dhi­sattva, wird heute jedoch in Asien überwiegend mit weiblichen Gesichtszügen dargestellt und sehr verehrt. Kannon wird im Allgemeinen als der Bodhisattva des großen Mitgefühls angesehen. Aber Meis­ter Dōgen sieht in ihm die Verkörperung der elementaren Ener­gie des Universums oder des Lebens selbst, die für die Wesen von noch größerer Bedeutung ist als das Mitgefühl. Er beschreibt in diesem Kapitel seine Auslegung des Kannon, indem er ein berühmtes Gespräch zwischen Meis­ter Ungan und Meis­ter Dōgo erläutert.

34 • Arakan 阿羅漢 • Der Arhat

Arakan ist die phonetische Wiedergabe von sanskr. «Arhan» oder «Arhat», das «verehrungswürdiger Mensch» oder «Heiliger» bedeutet. Arhat ist die höchs­te Stufe eines Śrā­vakas oder «Hörers» der Lehre im Hīnayāna-Buddhismus. Weil der Śrāvaka im Mahā­yāna zum Teil etwas geringschätzig betrachtet wird, haben manche Mahāyāna-­Anhänger die Arhatschaft nicht besonders wichtig genommen. Aber nach Meis­ter Dōgen gibt es keinen Unterschied zwischen dem Hīnayāna- und dem Mahāyāna-Buddhismus, denn es gibt nur einen Bud­dha-Dharma, der uns von Gautama Bud­dha überliefert wurde. Meis­ter Dōgen war überzeugt davon, dass der Mahāyāna eine spätere Form der Bud­dha-Leh­re ist und dass wir niemals von mehr als dem einen authentisch überlieferten Bud­dha-Dharma sprechen sollten. Nach Dōgen lebt ein Arhat ganz in der Wirklichkeit, und dies ist die Verwirklichung von Tatsachen im Hier und Jetzt.




35 • Hakujūshi 栢樹子 • Die Zeder

Das Kōan über die Zeder, hakujūshi, war in China und Japan sehr berühmt, sodass viele Bud­dhis­ten es analysiert und interpretiert haben. In diesem Kapitel legt Meis­ter Dōgen seine Auslegung des Kōan vor. Zuerst beschreibt er Meis­ter Jōshūs Charakter und Leben und erläutert dann die Geschichte: Ein Mönch fragt Meis­ter Jōshū Jūshin, was der Sinn von Meis­ter Bodhidharmas Kommen aus dem Westen war. Meis­ter Jōshū sagte: «Die Zeder im Garten.» Er meinte damit einfach die Wirklichkeit oder den Dharma. Der Mönch verstand es so, dass die Zeder nur ein materielles und kein spirituelles Ding sei, das nicht die ganze Wirklichkeit sein könne, und erbat vom Meis­ter eine weitere Antwort. Aber der Meis­ter antwortete wiederum, dass die Zeder im Garten die Wirklichkeit ist. Die Zeder ist in der Tat ein dauerhafter und schön gewachsener Baum, der mit seiner breiten Wurzel an einen seit sehr langer Zeit Praktizierenden erinnern kann.




36 • Kōmyō 光明 • Die strahlende Klarheit

bedeutet «hell» oder «strahlend» und myō «Klarheit». Diese strahlende Klarheit wur­de im Bud­dha-Dharma von alters her verehrt, und sie hat eine physische und eine spirituelle Seite. Die Menschen mit einer idealistischen Weltanschauung glauben im Allgemeinen nur an die spirituelle Klarheit, während die materialistische Weltanschauung nur die mit den Sinnen wahrnehmbare Klarheit gelten lässt. In der Bud­dha-Lehre ist die strahlende Klarheit aber sowohl physisch als auch spirituell und sie wird in diesem Kapitel von Meis­ter Dōgen erklärt. Er führt aus, dass das ganze Universum aus der strahlenden Klarheit ­besteht und die strahlende Klarheit ist. Unsere Exis­tenz und unser Tun im Universum sind diese Klarheit. Leben und Sterben, Kommen und Gehen und diese konkrete wun­derbare Welt sind die strahlende Klarheit.




37 • Shin­jin gakudō 身心学道 • Körper und Geist erlernen die Wahrheit

Shinjin bedeutet «Körper und Geist», gaku etwas «erlernen», «erforschen» oder «ergründen», und bedeutet «die Wahrheit», «die Wirklichkeit» oder auch «der Weg» dorthin. So bedeutet Shinjin gakudō «Körper und Geist erlernen die Wahrheit». Sprechen wir von der Wahrheit, so meinen wir damit meist etwas, was wir uns vorstellen können und was wir mit dem denkenden Verstand erfassen können. Im Bud­dha-Dharma wird jedoch gelehrt, dass man die Wahrheit oder Wirklichkeit nicht allein mit dem Verstand, sondern durch das konkrete Tun und Handeln erlangt. Deshalb umfasst das Erlernen der Wahrheit sowohl das körperliche als auch das geistige Bemühen. In diesem Kapitel erklärt Meis­ter Dōgen einerseits, wie man die Wahrheit mit dem Geist erlernt und wie man sie mit dem Körper erlernt, andererseits erläutert er auch die Tatsache, dass beide Wege im Tun und Handeln zu einer Einheit werden. Die Trennung in zwei Wege ist für Meis­ter Dōgen daher nur eine didaktische Methode, um zu erklären, wie man die Wahrheit im täglichen Tun und Handeln erlernt.

38 • Muchū setsumu 夢中説夢 • Den Traum im Traum lehren

Mu bedeutet «Traum», chū bedeutet «in» und setsu «lehren» oder «erklären». So bedeutet muchū setsumu «den Traum im Traum lehren». Wie ist das zu ver­ste­hen? Aus bud­dhis­tischer Sicht könnten wir unser Leben als eine Art Traum beschreiben, denn es ist nicht möglich, unser wirkliches Leben (die Wirklichkeit) mit dem Verstand oder den Sinnen zu erfassen. Der Grund liegt darin, dass wir immer nur in der unmittelbaren Gegenwart, das heißt in dem kurz erscheinenden und gleich wieder vergehenden Augenblick leben können, und dieser sich allen Erklärungen und Beschreibungen entzieht. Wie Meister Dōgen in diesem Kapitel ausführt, ist die Verwirklichung des Traums im Traum, also der Bud­dha-Dharma, nicht von dem Lehren des Traums im Traum zu trennen. Die Identität der Bud­dha-Lehre mit der Wirklichkeit aller Dinge und Phänomene ist eines der Hauptthemen des Shōbōgenzō.




39 • Dōtoku 道得 • Die Wahrheit aussprechen

In dem Wort dōtoku hat zwei Bedeutungen: zum einen «aussprechen» oder etwas mit oder ohne Worte «ausdrücken» und zum anderen «der Weg» oder «die Wahrheit». Das Wort toku hat ebenfalls zwei Bedeutungen: «fähig sein» oder (etwas) «erlangen» und (im weiteren Sinn) «die Wahrheit erlangen». Als bud­dhis­tischer Begriff bedeutet dōtoku «die Wahrheit aussprechen» oder «sagen, was man erlangt hat». In diesem Kapitel erklärt Meis­ter Dōgen den Sinn und die Bedeutung von dōtoku aus seiner Sicht.




40 • Gabyō 画餅 • Das Bild eines Reiskuchens

Ga bedeutet «Bild» und byō «Reiskuchen». So bedeutet gabyō «das Bild eines Reiskuchens». Der Satz, dass das Bild eines Reiskuchens nicht den Hunger befriedigt, ist im Bud­dha-Dharma sehr berühmt. Gewöhnlich wird er so ausgelegt, dass die Bilder und Begriffe, mit denen der Mensch die Welt beschreibt, unbrauchbar sind, um die Wirklichkeit direkt zu erfahren. Bis zu einem gewissen Grad trifft dies auch zu, aber Meis­ter Dōgen dringt viel tiefer in diese Fragestellung ein, wenn er sagt, dass das Bild eines Reiskuchens die eine Hälfte der Wirklichkeit darstellt, nämlich die mentale oder geistige Seite des Dharmas. Worte und Begriffe sind die vom Menschen geschaffenen Bilder der Wirklichkeit. Obwohl sie schon so manchen Menschen in die Irre geführt haben, dürfen sie nicht vernachlässigt oder gering geschätzt werden. Wie könnten wir uns dem Dharma nähern, wenn es keine Worte, Bilder und Erklärungen gäbe? In diesem Kapitel lehrt Meis­ter Dō­gen den wirklichen Sinn gemalter Reiskuchen: Das Bild eines Reiskuchens, d. h. Theorien und Begriffe, können den Hunger zwar nicht stillen, aber sie können verwendet werden, um die Bud­dha-Lehre zu erklären. Nach Dōgen hat alles in dieser Welt sowohl eine konkrete als auch eine mentale Seite, und beide Seiten sind in Wirklichkeit untrennbar miteinander verbunden. Deshalb können wir die wirkliche Exis­tenz eines Reiskuchens nicht finden, solange wir uns kein Bild, d. h. die Vorstellung «Reiskuchen» von ihm gemacht haben.




41 • Zenki 全機 • Die Dynamik des ganzen Universums

Zen bedeutet «alles» oder «das ganze Universum». Ki bedeutet «Dynamik» oder «Energie». So übersetzen wir zenki mit «die Dynamik des ganzen Universums». Aus bud­dhis­ti­scher Sicht ist diese Welt die Verwirklichung der Dynamik und Energie des ganzen Universums. In diesem Kapitel erklärt Meis­ter Dōgen diese Dynamik, indem er die wesentlichen Themen seiner Lehre, wie das Handeln, die Zeit und die Wirklichkeit von Leben und Tod, in sehr prägnanter Form zusammenfasst. Dieses Kapitel, das Meis­ter Dōgen im Amtssitz des Gouverneurs Yoshishige Hatano lehrte, der sein wichtigster ­Förderer war, gehört zu den wenigen Darlegungen im Shōbōgenzō, die Meis­ter Dōgen für bud­dhis­tische Laien gehalten hat. Diese Tatsache macht das Kapitel für uns heute be­sonders wichtig und wertvoll.